Theater

Angela Röhl

Wein

Ich bin Jahrgang 57 und komme aus Dresden, einer Stadt, in der Kultur und Musik ganz selbstverständlich sind.
Zwei weltberühmte Orchester, Oper, Schauspiel, Ballett, Operette, Puppentheater und Kino und jede Menge Museen waren Begleiter meiner Kindheit und Jugend.
Auch die Gemäldegalerie Alter und Neuer Meister, kleinere Galerien und die vielen Schlösser in der Umgebung mit
ihren Ausmalungen und Merkwürdigkeiten faszinierten und prägten mich, Dank meiner Eltern, die uns in diese kulturelle Welt einführten.
Wer hat als Kind schon ein Zimmer voller Federn oder mit Ledertapete gesehen?
Oder bin ich später Bühnenbildnerin geworden, weil ich den „Hofstaat des Großmoguls“, eine Edelsteinarbeit von Dinglinger oder die „Erzgebirgsberge“ im Volkskunstmuseum,
mit Licht und beweglichen Figuren in Form von Modellen schon als Kind basteln wollte?
Oder aber, weil mir Farben ermöglichten, wenigstens auf dem Papier der grauen DDR Wirklichkeit zu entfliehen?
Oder aber, weil ich schon früh mit Oper, Jazz und moderner Musik vertraut, Töne als Lebenselixier begriffen hatte?
Oder aber, weil ich Literatur, Sprache, Menschen, Geschichte und Kulturen zum Leben brauche?
Es muß die Verbindung von allem sein, auch die Faszination der sichtbaren Dampf — Maschinen — Mechanik der Elb — Dampfer meiner Kindheit wird in die Begeisterung, die ich der Bühnen - Technik und dem Schnürboden entgegen bringe, hineinspielen.
Politisch hatte ich früh schon zwei Seelen, ach in meiner Brust und begriff den Staat DDR wie eine unbegreifliche, laute und zugleich gefährliche Religion und Farce. Manche glaubten wirklich, Andere kannten die Regeln gut und befolgten sie brav. Ich versuchte nicht aufzufallen, hinterfragte generell Alles und fühlte mich immer etwas draußen
obwohl ich auch drinnen gefangen gehalten wurde. Die „Lingua Quatria“ fiel mir schwer, zu lernen und ernst zu nehmen. Mein Argument gegen den Spitzeldienst: “ich kann nichts für mich behalten“ entspricht durchaus den Tatsachen und brachte mir Ruhe vor dieser widerlichen Institution, die mich vor Studienantritt erpressen wollte. Dass ich
weggehen würde aus der grauen Dumpfheit und Atemnot, war mir schon sehr früh klar, nicht zuletzt nachdem ich die Panzer in Prag miterlebt hatte. Ich wollte aber noch möglichst viele Chancen des Lernens nutzen und Bühnenbild studieren, Kunst als einzig Mögliches ohne Lippenbekenntnis. Der Zugang zum Abitur war für mich erst nach einer
Eingabe beim Staatsrat möglich, trotz ausgezeichneter Noten. Das Studium fiel mir leicht und ich tauchte ein in die Welt des Theaters, die fast staatenlos ist, Leidenschaft und Mittelpunkt meines Lebens.
Als meine Kinder Schulprobleme bekamen, war ich gezwungen am Wohnort zu arbeiten. So rutschte ich mehr zufällig zum Finanzieren des überlebens in die Branche Wein und erlebte dabei eine weitere Faszination der Sinne.
Erinnerungen sind nicht nur Bilder, Worte und Klänge, sondern auch Gerüche. Wo ist der Geruch eingefangen und man kann ihn auch noch genießen? Wein kann auch Geschichten erzählen. Er ist allerdings genauso vergänglich wie ein Theaterabend. Auch die wundervollen Farben, die manchmal wie Edelsteine im Glas funkeln kann man nicht erhalten.
Noch gibt es hier unverwechselbare Vielfältigkeit, die es gilt zu bewahren und zu unterstützen gegen den Trend der Vermassung und Vermarktung in allen Bereichen der „Kunst“.

Die Individualität ist das Einzige, was uns aus dem Verschwinden in der Masse heraushebt, in der Kunst, im Wein, oder wo auch immer.

VITA